Tim Jansen's Blog (deutsch)


2005/02/21
'Fairsharing' und Himbeereis
Auf Golem gibt es eine Diskussion zum Thema FairSharing und Himbeereis. Fairsharing ist eine Unterschriften sammelnde Initiative, die erreichen will, dass Internetnutzer legal Dateien tauschen dürfen. Im Gegenzug sollen Internetzugänge versteuert werden mit einer geschwindigkeitsabhängigen Pauschale, die an die Urheber anhand der Nutzung verteilt wird, etwa wie bei der GEMA. Das ist aus so unglaublich vielen Gründen eine schwachsinnige Idee, dass ich gar nicht so genau weiss, womit ich anfangen soll. Aber Himbeereis ist ein guter Einstieg.

Himbeereis
Angenommen ich mag Himbeereis fürchterlich gern. Himbeereis gibt es im Supermarkt für 2 EUR pro Packung, aber aus irgendeinem Grund will ich es dort nicht kaufen. Ein insgeheimer Grund mag sein, dass ich dafür kein Geld ausgeben will, aber es kann auch ein anderer Grund sein, beispielsweise dass der Supermarkt es mir nur unter irgendwelchen Bedingungen verkauft, mit denen ich nicht einverstanden bin. Also klaue ich das Himbeereis aus dem Supermarkt. Damit bekomme ich das Himbeereis so wie ich es will, und nebenbei ist es auch noch günstiger. Früher oder später kommen andere Leute auf die gleiche Idee, und stehlen ebenfalls das Himbeereis aus dem Supermarkt. Offensichtlich ist dies langfristig keine gute Lösung, weil so der Supermarkt das Himbeereis irgendwann aus dem Programm nehmen wird, also muss eine Alternative her. Welche Alternative ist es?

Wenn es nach der FairSharing Initiative geht, wird jeder Supermarktkunde gesetzlich verpflichtet, beim Betreten des Supermarktes 5 EUR zu zahlen. Dafür kann er dann so viel Himbeereis mitnehmen, wie er will. Ist das eine gute Idee?

Gerechtigkeit
5 EUR pro Supermarktbesuch sind ein guter Preis, wenn man ein regelmässiger Eisesser ist. Vorher haben Himbeereissüchtige 30 EUR und mehr pro Monat bezahlt, wenn sie denn ihr Eis legal beschafft haben. Dementsprechen setzen sich gerade diejenigen mit hohem Himbeereisverbrauch auch besonders lautstark für die Himbeereisflatrate ein. Was ist mit denjenigen, die pro Jahr vielleicht 3 Eis verspeisen und ansonsten in den Supermarkt gehen, um Brokkoli und Milch zu kaufen? Die zahlen 4,50 EUR mehr im Monat. Wenn die Brokkolikäufer ihre Bedenken anmelden werden, dann entgegnen die Himbeereissüchtigen "ihr müsst einfach mehr Himbeereis essen, dann habt ihr auch was davon. Und ausserdem waren die Himbeereispreise vorher reiner Wucher.". Toller Rat. Aber wenn die Brokkolikäufer einfach nicht mehr Himbeereis mögen, auch wenn es kostenlos ist, dann bringt es ihnen nichts. Vorher haben sie 6 EUR im Jahr für Himbeereis ausgegeben und nun werden sie gezwungen 60 EUR auszugeben. Nur die Himbeereiskonsumenten gewinnen.

Qualität
Wie jeder Geschäftsmann macht natürlich auch der Supermarktbesitzer gerne mehr Gewinn. Beim Himbeereis ist es so, dass er seine Einnahmen nicht erhöhen kann, schliesslich ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass jeder Kunde nur 5 EUR zahlt. Aber er kann Kosten sparen: er kauft einfach billigeres Himbeereis. Er kann nicht beliebig billiges Eis verkaufen, denn dann gehen die Kunden zur Konkurrenz und er muss auf die 5 EUR Himbeereis-Flatrate verzichten. Das Eis muss gut genug sein, um den Kunden zu halten, darf aber keinen Cent mehr im Einkauf kosten, denn das wären unnötige Ausgaben. Es entwickelt sich bei den Supermärkten ein Wettbewerb darum, wer 'gut genug' ist.
Als die Kunden noch pro Eispackung zahlten, da hat es sich für die Supermärkte finanziell gelohnt, möglichst hochwertiges Eis zu niedrigem Preis zu verkaufen. Wenn das Eis richtig gut war, hat der Kunde vielleicht doppelt so viel gekauft. Aber jetzt mit der Himbeereis-Flatrate lohnt sich das nicht mehr, denn es verursacht nur mehr Kosten ohne jeglichen Vorteil für den Supermarkt. Vor der Flatrate war der Anreiz, das beste Eis zu verkaufen. Jetzt ist der Anreiz, nicht das schlechteste Eis zu verkaufen. Und so schmeckt das Eis auch.

Spezialitäten
Vor der Himbeereis-Flatrate gab es verschiedene Himbeereissorten. Neben der Standardsorte gab es auch ein paar besonders teure Spezialitäten, wie Himbeer-Pistazien-Eis und Himbeerkucheneis. Davon wurden zwar nicht viele verkauft, aber die wenigen Himbeerfeinschmecker haben um so mehr Geld dafür ausgegeben, und so wurde es zu einem lohnenswerten Geschäft. Mit Himbeereis-Flatrate lohnt sich das nicht mehr. Für den finanziellen Erfolg einer Himbeereissorte ist wichtig, dass die Masse der Käufer sie mag und in den Supermarkt kommt. Die Leute müssen ohnehin in den Supermarkt, warum also noch ein kostspieliges Sortiment für die wenigen Feinschmecker unterhalten? Früher hat sich das Gelohnt, denn die Feinschmecker haben ein vielfaches Gezahlt. Aber da der Preis für Himbeereis auf 5 EUR begrenzt wurde, kann Himbeer-Pistazien-Eis nicht mehr gewinnbringend verkauft werden, und so wird es keines mehr geben. Pech für dessen Konsumenten und Hersteller.

Schni-Schna-Schnappi
Die Hemmschwelle des Supermarktbesuchers mit Himbeereis-Flatrate davor, eine neue Sorte auszuprobieren, ist sehr gering. Er muss ja ohnehin die 5 EUR zahlen. Der Supermarktbesitzer dagegen versucht, mit spektakulären aber kostengünstigen Aktionen den Kunden anzulocken. In einer solchen Situation ist das finanziell ertragreichste Produkt das Schni-Schna-Schnappi-Himbeereis. Es ist grün, die Packung klein und nach dem Genuss wird einem schlecht - aber jeder muss es ausprobiert haben. Wichtig für den Supermarkt ist es nur, kurzzeitig Aufmerksamkeit zu erregen, damit die Leute das Produkt ausprobieren, denn nur damit macht man Geld. Ob die Kunden es langfristig mögen ist dabei relativ egal. Zwei Wochen später kommt halt die nächste Sorte, das gelbe Sweety-Himbeereis. Die Kunden stört es auch nicht direkt, schliesslich zahlen sie für enttäuschendes Eis keinen Cent mehr. Sie haben ja eine Flatrate. Dumm nur, dass dadurch noch weniger Einnahmen in das normale Himbeereis gesteckt werden.

Nachtrag / Antwort auf die Kommentare
Es ist für die Himbeereis-Flatrate nicht relevant, wie hoch die Herstellungskosten des Himbeereis sind, solange es Entwicklungskosten gibt. Der Punkt ist, dass eine Vergütung pro Nutzung dem Urheber einen viel stärkeren Anreiz dazu gibt, ein qualitativ hochwertiges Produkt herzustellen. Er wird direkt belohnt für jeden Käufer. Kaufen doppelt so viele, bekommt er doppelt so viel Geld. Bei einer Flatrate ist es nicht so, da wird der Urheber nur für einen hohen Marktanteil beim Probehören belohnt. Das ist ein völlig anderer Anreiz, und ich denke es ist einer, der nicht zu den Produkten führt, die ich als Musikkonsument will. Zumal dadurch auch jeder andere Markt zerstört bzw verhindert wird.
Zu den Brokkoli-Käufern: diese repräsentieren diejenigen, die keine Musik aus dem Internet wollen. Entweder weil sie altmodische Datenträger bevorzugen, oder weil sie zu den Menschen gehören, die einfach keine Musik hören. Die Flatrate setzt ihnen das Messer an den Hals - "entweder ihr konsumiert Musik so wie wir sie haben wollen, oder ihr zahlt ohne sie zu nutzen, oder ihr dürft nicht ins Internet".



Kommentare

Der ganze Vergleich hinkt an einem entscheidenden punkt: Musikdateien lassen sich kopieren, Himbeereis nicht. Daher ist es auch sinnvoll, Musik über eine Flatrate zu finanzieren, Himbeereis hingegen nicht. So können wir nämlich bei gleichem Aufwand alle mehr Musik nutzen, ohne das jemandem was weggenommen wird.

Das ist jetzt leider etwas knapp kommentiert, genaueres z.B. auf www.fairsharing.de oder bei William Fisher III, "Promises to Keep", erhältlich im Buchhandel oder in guten Tauschbörsen.

Ciao,
Oliver, moldenhauer@attac.de

 


Du vergleichst Aäpfel mit Birnen und übersiehst einiges grundlegende. Digitalen Musik hat andere Eigenschaften als Himbeereis, in jedem Fall gibt es keine "keine Rivalität in der Nutzung" und eine Ausschließbarkeit ist zumindest sehr Schwierig.

Hats du das Himbeereis gegessen, ist es weg, kein anderer kann es mehr essen. Bei digitaler Musik istdas nicht der Fall. Vor dem Hintergrund von P2P verkehrt sich das sogar ins Gegenteil, je mehr Leute die Musik herunterladen, je mehr Leute können sie potenziell herunterladen.

Bei der Ausschließbarkeit wird es etwas kniffliger: Was bei Himbeereis kein Problem ist (es wird aus dem Handel genommen), geht bei digitaler Musik kaum, wie die Realität zeigt – Versuche einen Kopierschutz zu etablieren sind bislang fehlgeschlagen.

Der Verweis auf die Brokkili-Käufer führt ins leere, denn niemandem wird vorgeschreiebn was er zu hören hat. Am Bild des Supermarkte heißt das jeder kann alles zur Pauschale mitnehmen, ob nun Himbeereis oder Brokkili.

Die Qualität und Vielfalt muss dabei nicht abnahmen, auch wenn du heir indirekt den Wunden Punkt des Konzepts triffts. Denn Geld bekommen alle, je populärer je mehr - die Frage wie man dies Ermittelt ist eben der Wunde Punkt. Heute ist es aber so das kleine kaum eine Chance haben Geld rein zu bekommen, worunter gerade Nischen-Musiker leiden. Eine Kulturflatrate könnte hier ganz neue Möglichkeiten schaffen und Vielfalt fördern, bietet das Internet doch einen fast unendlichen Raum und die Kulturflatrate die Möglichkeit diesen auch in Geld umsetzen zu können, ggf. gezeilt gesteuert. Letztedlich soll das Geld der Nutzung folgen: Hören alle Schnappi bekommt Schnappi alles Geld, hörst du etwas anderes, geht dein Geld auch woanders hin.

In einigen Beriechn funktioniert dieses Konzept heute schon, z.B. beim Radio und damit kommen wir zum nächsten Punkt: Man kann sich heute kaum mehr Musik und Film verweigern. Es mag sein das man auch Bücher in die Flatrate einbeziehen sollte, aber das führt hier zu weit. Musik z.B. ist allgegenwärtig, Im Supermarkt, in der Bahn, bei Veranstaltungen udn eben auch im Internet. Dafür sollten die Küstler entlohnt werden, zum Teil über die Kulturflatrate, zum Teil direkt.

Wer sich aber komplett verweigern will, wird auch nichts zahlen, denn geht Oma nicht ins Internet zahlt sie auch nicht in die Kulturflatrate ein.

Sicher ist die Idee nicht perfekt, aber das ist auch nicht die Frage. Vielmehr geht es darum ob ein solcher Ansatz für alle beteiligten und die Gesellschaft im allgemeinen Vorteile gegenüber dem restriktiven System bieten kann. Hierbei müsste man dann alle Kosten einbeziehen, den Wohlfahrtsverlust derjenigen die sich keine Musik leisten können, die Kosten um Personen vom Konsum auszuschließen, die Durchsetzung des Ausschlusses (Technik, Rechtsverfolgung bis hin zu den Gefängniskosten).

Aber in einem hast du Recht, in Bezug auf Himbeereis ist das Konzept quatsch. :-)

 


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